Belohnst du schon oder bestrafst du noch?

Wie Hunde lernen oder eben nicht

Ich war vor Kurzem zum Training mit einem Paar und ihrer Junghündin im Park, um Begegnungen mit Menschen und Hunden zu üben. Am Weg rein in den Park – auf der noch engen Zufahrtsstraße – kam uns ein Hundehalter entgegen, dessen Hund augenscheinlich auch ein Thema mit fremden Hunden hatte. Also haben wir uns so weit wie möglich an den Rand gestellt, um es unserem als auch dem anderen Hund so einfach wie möglich zu machen. Wir haben unsere Hündin freundlich zur Seite gebeten, überschwänglich für ruhiges Verhalten gelobt und dieses Verhalten mit Futterbelohnungen noch verstärkt. Dem anderen Hund ging es leider nicht so gut: Sobald er uns erblickt hatte, stemmte er sich in die Leine (vielmehr ins Halsband), zog zu uns herüber, seine Augen waren weit aufgerissen vor Schreck und er war im Begriff, gleich loszubellen. Sein Herrchen blieb davon unbeeindruckt, griff wortlos in die rechte Jackentasche, holte seine Wurfschellen heraus und ließ das Geräusch der aufeinander klappernden Metallplättchen einmal in der Luft erklingen. Die Reaktion seines Hundes folgte sofort: Die Pupillen weiteten sich vor Schreck noch mehr, Panik erfasste den ganzen Hund, er wurde noch steifer in seiner Körpersprache und erwürgte sich fast in seinem Halsband – man könnte fast sagen, das Bellen ist ihm im Hals steckengeblieben. Nicht nur in diesem kleinen Hund wurde der Angstreiz geweckt, auch mir zog ein kalter Schauer über den Rücken.

So sieht das also in der Praxis aus, wenn sich strafbasiertes und belohnungsbasiertes Training auf der Straße treffen.

Belohnungs- oder strafbasiertes Training

Ein Ausflug in die Lerntheorie

Hunde lernen aufgrund von Erfolg und Misserfolg – und zwar ein Hundeleben lang, in jeder Situation, an jedem Ort und zu jeder Zeit. Auf ein gezeigtes Verhalten folgt eine Konsequenz – und je nachdem wird das Verhalten öfter gezeigt oder weniger oft.

Das eine, das strafbasierte, unterdrückt unerwünschtes Verhalten und lässt völlig außer Acht, wie der Hund sich dabei fühlt. Das andere, das belohnungsbasierte, sorgt dafür, dass unerwünschtes Verhalten erst gar nicht auftritt und der Hund mit der Situation positive Emotionen verknüpft. Denn immerhin wollen wir ja, dass der Hund in Zukunft keinen Stress mehr beim Anblick anderer Hunde hat.

Einfacher ist natürlich Variante 1, die Strafe: Ich warte, bis der Hund etwas macht, was er – in meinen Augen – nicht soll und dann zack, unterbreche ich das Verhalten. Einfach so, ohne Vorankündigung. Und ohne zu hinterfragen, warum der Hund dieses Verhalten zeigt. Wenn nötig auch mit unsanften Methoden bis hin zu Gewalt. Ob das nun ein Leinenruck ist (dem Hund wird die Luft abgeschnürt – na, schon mal selber erlebt, wie sich das anfühlt?), Wasser auf den Hund gespritzt wird, eine Flasche plötzlich neben dem Hund auf den Boden donnert (manchmal auch mit Steinen gefüllt, damit’s noch mehr Krach macht), ein Zischlaut aus einem Halsband oder Tracker, ist völlig egal. Manche Hunde lassen sich auch von einer Taschentuchpackung einschüchtern, die nach ihnen geworfen wird.

Es geht nicht um das Tool an sich – in meinen Augen sind sie allesamt grausam und haben im Umgang mit Hund nix verloren – sondern um die Wirkung, die damit erzielt werden soll. Alle diese “Trainingshilfen” bedienen sich am Effekt, einen Schreck- und/oder Angstreiz bei deinem Hund auszulösen. Alles, was plötzlich kommt, was besonders laut ist, einen Zischlaut verursacht oder schnelle Bewegungen von oben, versetzen den Hund in Angst und Panik. Und was machen wir und unsere Hunde, wenn wir uns zu Tode erschrecken? Wir hören in der Sekunde auf, das zu tun, womit wir gerade beschäftigt waren. Praktisch, für’s Hundetraining. #achtungsarkasmus

Auf emotionaler und psychischer Ebene ist das einfach nur gemein und brutal. Soll ich nochmal erwähnen, dass der Einsatz von diesen Trainingshilfen sowie der bewusste Einsatz von Schreck- und Angstreizen explizit im Tierschutzgesetz verboten ist? Übrigens, Strafe ist nicht immer nur das, was ich oben beschrieben habe. Auch psychische Gewalt zählt zu Strafe: Entzug von Aufmerksamkeit, Verwehren von Sozialkontakt, Isolation, Anschreien, körpersprachliches Blocken … alles Dinge, die von Außen gar nicht so dramatisch aussehen, deinen Hund aber auf Dauer kaputt machen.

Lies hierzu gerne meinen Artikel: Gewalt im Hundetraining

Warum bei dem Herrn aus meinem Beispiel ausreichend war, die Wurfdiscs nur mehr in die Hand zu nehmen? Der Hund hat wohl schon unangenehme Erfahrungen mit den Schellen gemacht, daher muss man jetzt nur mehr das Geräusch erklingen lassen, um ihn handlungsunfähig zu machen. Man kann sich vorstellen, wie sich der Hund dabei fühlt … Und dass er mit anderen Hunden garantiert nichts Positives verknüpft und sein Leben lang andere Hunde furchtbar finden wird. Genauso wie sein Herrchen, denn der ist unberechenbar für den Hund geworden. Lerneffekt = Null. Stressbelastung = 150%.

Futterbelohnung im Hundetraining

Wissen ist Macht

Es ist nie zu spät, dazuzulernen und umzudenken

Strafe muss immer erfolgen, wenn das Verhalten aufhören soll. Immer. Jedes einzelne Mal (… und ich höre schon wieder die Kritiker des positiven Trainings: “….Der macht das nur für’s Leckerli. Da muss ich ja dauernd mit Keksen durch die Gegend laufen. ..” – also ich hab lieber einen Leckerlibeutel umgeschnallt als die Wasserflasche oder Wurfdiscs in der Hosentasche).

Strafe muß sofort erfolgen, wenn der Hund das Verhalten zeigt, da die Strafe sonst nicht mit dem Verhalten in Verbindung gebracht wird. (… und deswegen bringt es auch Null Komma Nix dem Hund eins überzuziehen, wenn er endlich aus dem Wald retour kommt, obwohl du schon x-mal das Rückrufsignal gegeben hast – das du ihm nebenbei erwähnt wahrscheinlich nie richtig beigebracht hast …).

Strafe muß so stark sein, damit der Hund massiv eingeschüchtert ist, das Verhalten nie wieder zu zeigen. Unschöne Nebenwirkung: Nachdem der Hund absolut nicht gelernt hat, welches Verhalten sich für ihn lohnt, wird er andere Verhaltensweisen auch einstellen, weil er Angst vor Konsequenzen hat. Das sind dann also die Hunde, die “…soooo brav sind, seit wir beim Hundetrainer waren …” Nein, sie sind nicht brav, sie sind kaputt. Emotional und psychisch kaputt.

Ich schreibe hier von “bewusstem Einsatz von Strafe”, denn ich hab sie schon wieder im Ohr, die Kritiker des positiven Hundetrainings: “Das funktoniert ja gar nicht.” , “Man kann Hunde nicht ausschließlich positiv erziehen.” Woher kommt diese Aussage? Wahrscheinlich, damit sie eine Rechtfertigung für ihr unfaires Verhalten Hunden gegenüber haben. Aber aus lerntheoretischer Sicht haben sie natürlich Recht: Denn was der Hund als Strafe empfindet, entscheidet er. Und auch ein Vorenthalten eines Leckerli oder eine Aufmerksamkeitspause ist per Defintion Strafe.

Wir haben es im Hundetraining also immer mit allen 4 Quadranten der Lerntheorie (Positive Verstärkung, Negative Verstärkung, Positive Strafe und Negative Strafe) zu tun. Mir ist aber sehr wichtig festzuhalten, dass es einen eklatanten Unterschied macht, ob ich Strafe als bewusste Trainingsmethode einsetze, um den Hund in seinem Verhalten zu hemmen oder zu unterdrücken oder ob ich ihm durch Vorenthalten eines Leckerli ein Gefühl der Enttäuschung hervorrufe. Wenn du mehr dazu wissen möchtest, lies meinen Artikel zu Positivem Hundetraining .

Aversives Training (also Lernen durch Strafe) erzeugt Stress, mindert die Lebensqualität, fördert Aggressionsverhalten und schädigt die Bindung zu dir.

Alternativ kann ich meinen Hund auch über Belohnungen trainieren. Dann erfreue ich mich den ganzen Tag darüber, was mein Hund schon gut kann und verstärke das Verhalten, das mein Hund automatisch zeigt. Denn dann lernt er, dass es sich lohnt und wird es von sich aus öfter zeigen. Verhalten, das verstärkt wird, wird öfter gezeigt. Verhalten, das keine Beachtung findet, wird mit der Zeit gelöscht. Das ist keine Methode, sondern das besagt die Lerntheorie, die übrigens für alle (!) Säugetiere gilt. Außerdem lasse ich im belohnungsbasierten Training den Hund nicht im Regen stehen: Wir bringen dem Hund immer ein erwünschtes Alternativverhalten bei. Hat dein Hund Probleme mit Artgenossen, möchten wir ihm ja eine andere, für alle Beteiligten stressfreie Strategie lernen – denn eine hat er ja schon: Leinepöbeln

Mehr zur Leinenaggression im Blog: Achtung! Leinenrambo

Daniela Loibl, Zert. Hundetrainer

Aber natürlich verlangt der positive und bedürfnisorientierte Umgang mit Hund ein Umdenken von uns Menschen. Wir konzentrieren uns plötzlich auf das Gute im Zusammenleben mit Hund anstatt nur das Schlechte zu ahnden. Und sei mal ehrlich zu dir selbst: Dein Hund macht doch sicher viel mehr richtig als falsch, oder?

Positiver Umgang mit Hund verbessert nicht nur die Kommunikation zu deinem Fellfreund, auch die Beziehung und Bindung wird gestärkt. Dein Hund bekommt Selbstwirksamkeit, Selbstbewusstsein und lernt Strategien, um mit für ihn schwierigen Situationen umzugehen. Natürlich dauert das länger als zwei Trainingseinheiten, aber das kennst du ja von dir selbst: Blöde Verhaltensmuster muss man erstmal rauskriegen aus seinem Gehirn.

Positive Verstärkung, also Lernen durch Belohnung, funktioniert bei jedem Hund: Auch bei aggressiven Hunden, bei unkastrierten Rüden, bei Hunden aus dem Auslandstierschutz und auch bei Hunden, die bereits sehr viel Gewalt erfahren haben.

Kein Hund braucht „eine harte Hand“, sondern Verständnis, Empathie und modernes Trainingswissen. Wer sich mit Hundewissenschaft beschäftigt, wird das bestätigen. Alle anderen werden es weiterhin schlechtreden und sich selbst als Hunde-Experten positionieren. Denn ob dein Hundetrainer eine Ausbildung hat und welche, ist völlig egal. Jeder darf in Österreich sein Hunde(halb-)wissen zum Besten geben. Leider. Also Augen auf bei der Auswahl!

Bleib‘ dir selber treu

Für eine glückliche Mensch-Hund-Beziehung

Viele Hundeeltern, v.a. Ersthundehalter, die ich kennenlerne, haben ein tolles Bauchgefühl, wollen freundlich und fair mit ihrem Hund umgehen. Doch dann entwickelt der Hundibert unerwünschte Verhaltensweisen und schon werden die Stimmen im Umfeld laut: “Das kannst du dem nicht durchgehen lassen!”, “Der tanzt dir sowas von auf der Nase rum!”, “Der will der Chef sein!”, “Dem musst du ordentlich Grenzen setzen” und all das Rudelführer-Gedöns aus dem vorigen Jahrhundert, das den strafbasierten Umgang mit Hund rechtfertigen soll.

Wer mehr darüber wissen mag, hier geht’s zum Blog: Von Rudelführern und Alphawölfen

Was folgt, sind sehr verunsicherte Hundehalter. Teilweise auch eingeschüchterte Hundeeltern. Alles Menschen, die sich in der ursprünglichen Hundeerziehung nicht wiederfinden, denen es widerstrebt, ihrem Hund einen Leinenruck zu verpassen, damit er nicht so zieht. Oder ihn mit Wasser zu bespritzen, damit er den Artgenossen nicht verbellt. Oder ihren Welpen auf den Boden zu drücken oder in einer Box einzusperren, damit er zur Ruhe kommt. Es folgen endlose Diskussionen mit ihrem Umfeld, steigende Verzweiflung und das Gefühl der Überforderung. Es ist erschreckend, welche Auswirkung die Meinung anderer auf den Umgang mit dem eigenen Hund hat.

Leute, Meinung ist nicht Wissen! Bei Hunden (und Kindern, hab ich mir sagen lassen) hat echt jeder eine Meinung. Aber nur wenige haben fundiertes Wissen. Und in der HundeWISSENschaft hat sich in den letzten 30 Jahren doch so einiges verändert – wir haben den Umgang positiv für den Hund verändert. Warum? Weil wir heute einfach viel mehr wissen als damals. Weil Hunde nicht mehr nur reine Kommandoempfänger ohne Gefühle sind, sondern gleichwertige Familienmitglieder, mit Bedürfnissen und Emotionen – die übrigens jenen von uns Menschen gleich sind.

Als ich vor einigen Jahren meine Ausbildung zum Hundetrainer begonnen habe, war mir die Wichtigkeit vom Begriff “gewaltfreies Hundetraining” nicht bewusst. Für mich war es immer klar, Lebewesen fair und respektvoll zu behandeln. Dass das im klassischen Hundetraining nach wie vor eher die Ausnahme als der Alltag ist, weiß ich erst heute. Und es macht mich traurig. Traurig zu sehen, wie Menschen mit ihren Hunden umgehen: Sei es, weil sie es nie anders gelernt haben, weil der Trainer sagt, das gehört so oder weil das Umfeld eine Meinung hat. Es wird nicht hinterfragt, ob diese Art der “Erziehung” immer noch zeitgemäß ist. Es wird nicht hinterfragt, wie es dem Hund dabei geht.

Dabei ist es gar nicht so schwer: Wann immer du mit deinem Hund etwas tust, stelle dir folgende Frage: “Wie fühlt sich mein Hund dabei?”. Die Antwort gibt dir die Info, ob dein Hund deine Konsequenz auf sein Verhalten als angenehm oder unangenehm empfindet. Würdest du die Rollen tauschen wollen? Mh, würdest du?

Daniela Loibl MBA MSc

Daniela Loibl MBA MSc

  • Hunde-Verhaltensberaterin 
  • verhaltensmedizinische Tierpsychologin 
  • zertifizierte Hunde-Ernährungsberaterin
  • ehrenamtliche Hundetrainerin im Tierheim
  • Buchautorin “Fred & Otto, Wanderführer für Hunde”

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